Der Rheinwerk Verlag lud am 16. Mai 2019 in Köln zu seiner ersten Online Marketing Konferenz. Unter dem Motto „Deep Dive into Marketing“ trafen sich etwa 200 Marketer im Dock One zwischen Rhein und Backstein-Hallen. In zwei Keynotes und Vorträgen drei parallelen Slots nahmen die Speaker ihr Publikum mit auf einem Tauchgang in die Online Marketing Tiefen.
Die Location
Die alten Hafenhallen zwischen Deutz und Mühlheim sind mitten im Umbau und der Rheinwerk Verlag hatte für seine erste Online Marketing Konferenz die bereits hergerichteten Räume von Dock.One gewählt. Während auf dem einen Nachbargrundstück entkernt wurde, wuchsen auf dem anderen Birken auf den Mauerkronen. In der Konferenzhalle aber herrschte moderner Industrie-Chic mit einem beeindruckenden Licht-Konzept.
Für die drei Slots war ein großer Bereich an der Stirnseite der Halle mit deckenhohen Vorhängen abgetrennt. Ein kleinerer Bereich war durch eine Stellwand getrennt. Der dritte Vortragsbereich befand sich auf der Empore der Halle. Da die Empore offen für den Schall der anderen Vorträge war, gab es hier einen besonderen Kniff: Jeder der 80 Plätze hatte Kopfhörer, über die man die Referenten direkt hören konnte.
Auf der zentralen Fläche zwischen den Vortragsbereichen konnte man sich in Sitzgruppen zusammensetzen, in den ausliegenden Büchern des Rheinwerk Verlags blättern und das Catering genießen. Dank weitgehend schönem Wetter saß es sich in den Pausen auch draußen sehr angenehm. Denn nach einigen Stunden wurde die farbige Beleuchtung dann doch anstrengend.
In dieser eindrucksvollen Umgebung begann um 9:15 Uhr der Konferenztag mit der Begrüßung und der ersten Keynote.
Dr. Kerstin Hoffmann: Die Zukunft der digitalen Kommunikation
Die erste Keynote begann mit einem Blick nach Usbekistan. So unpassend das im ersten Moment klingen mag: Die Ausführungen von Frau Dr. Hoffmann über die Rolle von Kommunikationskulturen und die Rolle von digitalen Kanälen für die Kommunikation der Zukunft hatte in der Ex-Sowjetrepublik einen guten Startpunkt.
Wenn in Usbekistans Städten in allen Hotels und Cafés freies WLAN verfügbar ist und Firmen dort nicht E-Mail, sondern Messenger-Dienste für die interne Kommunikation nutzen, dann zeigt dass: Es drohen gerade Wirtschaften an deutschen Firmen vorbeizuziehen, die wir gar nicht im Blick haben. Und zwar durch das Eingehen auf neue Kommunikationsformen und -technologien.
Wer sich überlegen will, wie Menschen in der Zukunft kommunizieren werden, MUSS sich mit Technik geschäftigen. (…) Technologie steuert Kommunikation.
Den Ablauf disruptiver technischer Änderungen brachte die Referentin am Beispiel von Navigation hervorragend auf den Punkt. Straßenatlas, Navigationsgerät, Navigations-Apps auf dem Smartphone, Google-Maps auf dem Smartphone und schließlich die immer besseren Möglichkeiten rein akustischer Wegleitung:
Genau betrachtet geht es nicht um die Kommunikation der Zukunft, sondern darum Kommunikation als ein System im ständigen Wandel zu begreifen. Ein System dessen einzige Konstante unter den verschiedenen Übergangslösungen der Faktor Mensch ist.
Bevor es konkret um mögliche Formen der Kommunikation in den nächsten Jahrzehnten ging, nahm sich Frau Dr. Hoffmann erst einmal die schwierige Welt der Prognosen vor. Gefühlte Wahrheit, erfragte Wahrheit und gemessene Wahrheit, sowie Zielgruppenkritik gab es im Schnelldurchlauf.
Merke:
Einschätzungen zu sammeln ergibt gutes Klickbait, aber keine gute Grundlage für Prognosen.
Laut Frau Dr. Hoffmann gilt es vor allem die aktuellen technischen Möglichkeiten zu beherrschen und mit der Konstanten „Mensch“ zu arbeiten.
So fliehen Menschen vor Reklame immer wieder in neue, scheinbar geschützte Räume, in die ihnen Marketing dann folgt. Aktuelle Beispiele sind die Plattform TikTok und der Umstand, dass selbst Facebook nicht mehr auf Facebook setzt, sondern nach Wegen sucht private Messenger Nutzung für Werbekunden zugänglich zu machen. Ein weiterer Aspekt des Rückzugs in private und geschlossene Systeme ist, dass die Nutzer so selbst die Informationsflut der digitalen Welt regulieren.
Durch die Menge zugänglicher Informationen können selbst hochwertige Inhalte schnell „überspült“ werden. Umso wichtiger sind daher die Beziehung zwischen dem Unternehmen und den Kunden über die Marke und die Qualität der Leistung. Ohne diese Grundlagen wird es in Zukunft noch schwieriger in Kommunikation mit Kunden und Umfeld zu treten.
Das Sender-Empfänger-Paradigma ist out. Onlinemarketing ist zu 90 % Zuhören. Menschen wollen über sich selbst sprechen. Der Held deiner Story bist nicht du, sondern dein Kunde!
Dr. Hoffmanns Rat an Marketer:
- Um in der Informationsflut zu bestehen, muss Marketing Kundennutzen auf den ersten Blick erkennbar machen und Beziehungen zum Kunden aufbauen.
- Um aktuell zu kommunizieren, müssen unternehmen Plattformen nutzen, sollten sich dabei aber weder abhängig machen, noch verzetteln.
- Um erfolgreich und zukunftssicher zu kommunizieren, braucht man eine offene Fehlerkultur und muss interne Strukturen vor externes Marketing setzen.
Olaf Kopp: Kennen Sie Ihre Online-Marketing-Strategie?
Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Kontaktmitteln: Werbung und Content. (…) Content braucht immer einen Zweck. Sonst kann man’s lassen.
In seinem Vortrag zur Online-Marketing-Strategie machte Olaf Kopp gleich zu Anfang klar:
Es geht heute nicht mehr um Reichweite und möglichst viele Erstkontakte.
An Frau Dr. Hoffmann anknüpfend ging er zu Anfang kurz auf den Informationsüberfluss im Web und die Verhaltensweisen, mit denen Nutzer mit Ihr umgehen. Olaf Kopp rät deswegen zu konsequent nutzerzentriertem Marketing mit einem in seiner Aufgesang GmbH entwickelten Modell für die Customer Journey.
Für jeden, der mit den Konzepten von Customer Journeys und Touchpoints vertraut ist, für den war der weitere Vortrag eine willkommene und schöne Zusammenfassung. Und eine Erinnerung, dass dieser zentrale Teil einer Marketing-Strategie vielerorts noch nicht verinnerlicht wurde. Zu sehen, dass der Customer Journey Ansatz laut einer Umfrage auf sem-deutschland einem Drittel der 1000 Befragten neu ist, tat ein wenig weh. Es zeigte aber auch das Potenzial.
Für jeden, der in diesen Themen noch nicht tief eingestiegen war, brachte Olaf kompakt einen fundierten Blick und viele grundsätzliche Hinweise. Damit traf er zu 100 % das Motto der Rheinwerk Konferenz, den „Deep Dive into Marketing“.
Einen Aspekt möchte ich aber noch extra hervorheben: Bei seinen Ausführungen zu Content und vor allem seiner Verbindung mit Retargeting, nutzerzentrierter interner Verlinkung und Distribution kam er auch auf Personas zu sprechen.
Neben der Rolle der Customer Journey hinaus, blieb mir als praktischer Tipp vor allem eines im Gedächtnis:
Personas (vor allem mit Tools erstellte) sind nichts wert, wenn man nicht die Touchpoints mit modelliert.
Denn die Touchpoints bestimmen erst für welche Form von Content diese Persona relevant ist. Es ist sogar besser im Briefing nur mit Customer Journey und Touchpoints, als mit Personas ohne entsprechend definierte Touchpoints zu arbeiten.
Nico Zorn: E-Mail-Marketing
Der Vortrag von Nico Zorn zum E-Mail-Marketing war ein unterhaltsames Plädoyer für die Rolle von E–Mails im Onlinemarketing. Genüßlich begann er mit der Feststellung, dass E-Mail seit 15 Jahres jedes Jahr für tot erklärt wird. Während gleichzeitig gerade die Plattformen, die E-Mail nach allgemeiner Ansicht ablösen sollten, zu den fleißigsten Versendern von E-Mails an Ihre User gehören.
Dass E-Mail und SEO im E-Commerce den meisten Umsatz und hohen ROI bringen, ist eine wichtige Aussage. Damit das auch klappt, konnten die Zuhörer einige von Nico Zorns Erfahrungswerten mitnehmen.
Clickability ist keine Musikrichtung!
- Genau genommen ist bei Anmeldung nur „E-Mail“ als Pflichtfeld erlaubt
- Eine E-Mail muss eine Story im Kopf des Lesers anstoßen
- Low Commitment CTAs verbessern die Interaktion
- Ziel einer E-Mail ist nie der Verkauf, sondern der Klick auf die eigene Webseite – die Landingpage dort muss verkaufen
- Es lohnt sich aus der erwarteten Formen der Regle-Kommunikation auszubrechen
- A/B-Tests für die Form der Newsletter-Anmeldung sind praktisch Pflicht
Und zu guter Letzt erinnerte er noch daran, dass Kennzahlen nur dann einen Wert haben, wenn auf Ihrer Basis auch etwas verändert wird. Wer Budget für Monitoring zur Verfügung stellt, sollte auch Budget für Änderungen auf Basis des Monitorings einplanen.
Prof. Mario Fischer: KI im Marketing
Die Zwischenkeynote von Prof. Mario Fischer brachte Mittags nochmal neuen Schwung in die Köpfe. Und die eine oder andere Lachträne gemäß dem alten Speaker-Spruch „Wer lacht, schläft nicht“. Denn sein Einstieg war eine kleine Tour durch Innovations-, Design- und generellen Onlinemarketing-Fails.
Meistens heißt es: „Der Kunde steht bei uns immer im Mittelpunkt.“ Ja, deswegen steht er auch immer im Weg. Außer der Vertrieb kommt. Der vertreibt ihn.
Nach einem prägnanten Einstieg dazu, wie KI, Maschinenlernen und neuronale Netze eigentlich zusammenhängen, ging es in die bereits genutzten und gerade entstehenden Anwendungen von KI im Marketing.
Vor allem die Aussage „Computer können nicht…“ wurde immer wieder widerlegt. Von Pokern, über Bilderkennung bis zum Erschaffen von Bildern im Stil alter Meister nimmt KI gerade immer mehr an Kompetenzen auf. Die Anwendungen sind momentan zwar noch sehr begrenzt, aber mit richtig aufbereiteten und kombinierten Daten bereits sehr mächtig.
Die Hauptfrage ist also nicht „Was kann KI im Marketing?“ – die Hauptfrage ist „Wie gut wird KI in deutschen Unternehmen bereits verstanden und eingesetzt?„
Da kam Prof. Mario Fischer indirekt wieder zurück auf die Innovations-Fails der Einleitung. Wenn von 411 Vorständen börsennotierter Unternehmen nur 33 überhaupt tiefere Digitalerfahrung haben, dann lässt das wenig Gutes hoffen.
Aussitzen wird da nicht funktionieren. Und externe Hilfen bei zukünftigen Kernaspekten hinzuzuziehen wird schnell teuer. Bei einem praktisch leerem Arbeitsmarkt und dem Umstand, dass Expertise mit der Zeit wachsen muss und nur bedingt durch Kapitaleinsatz beschleunigt werden kann, bedeutet das also bereits jetzt interne Kompetenzen für KI aufzubauen. Unabhägig von der Branche.
Das zentrale Take-Away für die Unternehmer unter den Teilnehmern war also ganz klar:
- Beschäftigen Sie sich jetzt mit KI
- Machen Sie ihr Onlinemarketing durch strukturierte Daten zugänglich für die KIs der großen Anbieter
- Beginnen Sie mit dem Aufbau von internem Know-How in diesem Zukunftsfeld
Michael Janssen: Google Analytics – Webanalyse & Customer Journey
In den beiden aufeinander folgenden Vorträge von Michael Janssen ging es erst allgemein über die Möglichkeiten von Google Analytics in der Webanalyse und dann konkret um das Abbilden der Customer Journey im selben System.
Dabei stand immer im Hintergrund, dass Webanalyse Unternehmen ermächtigt ihre Aktivitäten zu lenken und Entscheidungen zu treffen. Dazu jedoch muss sowohl die Datengrundlage stimmen, als auch die Analysekompetenz.
Erst die Arbeit, dann die Analyse! (…) Wir brauchen viel mehr Leute, die sich damit auskennen.
Die Kernthesen in beiden Vorträgen brachten die Herausforderungen in der Webanalyse sehr gut auf den Punkt:
- Analytics liefert nur Antworten, wenn man auch Fragen stellt. Möglichst die richtigen.
- Welche Messwerte sind wirklich die KPIs für das eigene Vorgehen? Vanity-Metriken ohne konkreten Nutzen muss man meiden
- Nur wenn man bereit ist auf Basis der Webanalyse auch etwas zu ändern, lohnt sie sich – wo man nichts ändern will oder kann, da braucht man auch nicht messen
- Die Nutzung von UTM-Parametern in Links machen Analytics erst klug genug für eine Analyse von Customer Journeys
- So viele Ziele wie möglich setzen und kleinschrittig tracken
Besonders tief ging es dann in den Bereich der Attribution, der Conversion-Pfade und der Frage nach der Zuordnung von Käufen und Clicks zu Kanälen. Für Zuhörer, die „nur“ mit der kostenfreien Version von Google Analytics arbeiteten, waren einige Ausführungen weniger hilfreich, auch wenn der Hinweis auf eine angekündigte Integration dieser Funktionen in das offene Analytics hoffen lassen.
Zum Schluss gab es noch die Erinnerung von Anfang an für gute Datenqualität zu sorgen und im Zweifel klein anzufangen.
Fazit: Kompetenz nicht nur zwischen Buchdeckeln
Der Rheinwerk-Verlag hat geliefert. Bei seiner ersten Konferenz gaben die Speaker fundierte Einblicke in die verschiedenen Bereiche und Tiefen des Onlinemarketings. Nur in den Keynotes lag der Schwerpunkt auf den großen Trendthemen, zukünftigen Entwicklung und dergleichen. Die restlichen Vorträge widmeten sich passend zum Verlagsprogramm den Themen und Kompetenzen, die im Alltag für erfolgreiches Onlinemarketing gefragt sind.
Auch wenn man nicht alle Vorträge in allen Slots hören konnte, geben die zur Verfügung gestellten Präsentationen in der Nachbereitung wertvolle Hilfen.
Die Teilnahme lohnte sich auf jeden Fall und es gibt wenig zu Meckern. Wenig deshalb, weil drei Dinge eben doch noch Potenzial bieten. Nicht inhaltlich, aber vor allem mit Blick darauf die Konzentration der Teilnehmer nicht unnötig zu beanspruchen.
- So eindrucks- und stilvoll die Beleuchtung er Konferenzräume auch war: Auf Dauer wurde sie anstrengend und war im zentralen Sitzbereich schon sehr dunkel.
- Das Catering war zwar ganz hervorragend, Tische und Sitzmöglichkeiten zum Essen waren aber etwas rar.
- Trotz der Kopfhörer-Lösung auf der Empore hörte man meist noch Fetzen eines anderen Vortrags mit.
Bei Online-Profession freuen wir uns auf weitere Konferenzen vom Rheinwerk Verlag. Als zugleich vielseitige und konzentrierte Fortbildungsveranstaltungen ergänzen Sie die Bücher des Hauses und die Trend-Konferenzen sehr geschickt.
Weitere Recaps zur Rheinwerk Online Marketing Konferenz:
Sie haben eigentlich keine Zeit für große Konferenzen?
In Münster gibt es monatlich Vorträge von Online Marketing Experten nach Feierabend. Ein offenes Format voller interessanter Teilnehmer aus NRW und Konferenz-bekannten Experten als Speakern.